Herrn Pipers Erweckung

Herrn Pipers Erweckung

Von Pauli München

Letzthin, in der Wochenendausgabe der SZ, fand ich ein berührendes Zeugnis echter Gläubigkeit, erinnernd an die Erweckungstestimonials amerikanischer Sekten, die man manchmal in Filmen sieht. Nikolaus Piper, Chef der SZ-Wirtschaftsredaktion, verteidigt sich gegen seine Kritiker, indem er seine Lebensgeschichte erzählt. Was unbedingt zu einer Bühnenfassung zwingt:

 Der Vorhang hebt sich :   ( Gemeindesaal in luftiger Holzbauweise, zahlreiches Publikum, die Frauen in weißen Rüschenblusen, die Männer im Anzug. Auf der Bühne hinter einem Podest der Redner, hinter ihm ein Gospelchor. )

 Liebe Gemeinde, Brüder und Schwestern !

Ich möchte Zeugnis ablegen, ich möchte Euch schildern, wie ich zu Gott
und zum Propheten gefunden habe !

( Halleluja-Rufe aus dem Auditorium. )

Ich war ein schlechter Mensch. „Kein Zweifel, ich habe links begonnen“. Zwar hatte ich mit „Kommunismus nichts am Hut“, doch „trotzdem war ich damals, wie die meisten, für die Verstaatlichung der Wirtschaft“!

( Gott steh´uns bei ! -Rufe aus dem Auditorium – Ihr Heiligen helft ! )

Und ja – ich gestehe es mit tiefer Scham im Herzen: „Auch Antiamerikanismus gehörte damals zum Kodex.“

Doch- Brüder und Schwestern, jubelt mit mir – ich wurde erleuchtet in der Finsternis !
„Mein persönlicher Paradigmenwechsel fand am  6. Februar 1974 statt. An diesem Tag hielt der radikalliberale Nobelpreisträger August von Hayek in der Freiburger Aula seine heute berühmte Rede „Wissenschaft und Sozialismus“.

( Halleluja!- Rufe. Heiliger Hayek, bitt´ für uns !- Rufe.
Der Gospelchor setzt ein, mit einem kurzen, kräftigen  „Go, praise the   markets !“ )

Und seitdem weiß ich, Brüder und Schwestern: Alleine der göttliche Markt lenkt uns, er ordnet unser Leben und die ganze  Welt.  Alleine der Markt hält unsere Welt zusammen.

Ich weiß aber auch : „Wird dieser Mechanismus unterbunden, dann ist nicht nur der Wohlstand, sondern auch die Freiheit gefährdet“.

Brüder und Schwestern, „danach kam der 9. November 1989, die Berliner Mauer fiel, mit ihr brach der real existierende Sozialismus zusammen und zwar genau aus den Gründen, die Hayek genannt hatte“.

( Halleluja !- Rufe, Gospelchor mit „He got the whole world in his hand.“ )

Doch Halt !! Trotz dieses Sieges der Gläubigen – das Paradies ist noch fern! Denn das Böse lebt weiter, es  wechselt nur seine Gestalt !

( Erschrockene „Hayek, bitt´ für uns !“- Rufe )

Denn es ist doch so: „Nach dem schmählichen Ende des real existierenden Sozialismus… glaubte ich zwar nicht …an das Ende der Geschichte, ich konnte mir aber auch nicht vorstellen, dass der Sozialismus zu meinen Lebzeiten noch einmal Anhänger finden würde. Das war ein Irrtum. Es begann der Kampf gegen den Neoliberalismus.“ „Und niemand scheint die Gefahr zu sehen, dass sich diese Ablehnung der Wirtschaftsordnung auch sehr schnell gegen die liberale Gesellschaftsordnung und ihre Freiheit richten könnte.“
Und so werde ich manchmal von Ungläubigen, von Gottlosen angesprochen: „Sie sind doch ein neoliberaler Ultra.“

(Schreckensrufe, empört aufspringende Gemeindemitglieder)

„Und das Schimpfwort trifft mich, der ich bis heute nicht begriffen habe, worin der Unterschied zwischen liberal und neoliberal liegen soll.“

Da kommt ganz von hinten aus dem Halbdunkel eine ruhige Stimme. Reglos steht dort, seit Beginn der Verkündigung, die alte Lehrerin des Viertels. Fünfzig Jahre lang mühte sich Miss Elliott, den Kindern Lesen, Schreiben und ein bisschen Rechnen beizubringen.

„Da könnte ich Dir helfen, Nikki,“ so spricht sie. „Neoliberal heißt marktradikal und nichts anderes. Und ihr, mit euerer Religion, leugnet beharrlich, dass euere deregulierten Märkte ganze Regionen dieser Erde verelenden, den Planten ökologisch zerstören und unsere Gemeinschaft in Arm und Reich zerfallen lassen.

Und die Freiheit, die ist Euch doch einerlei und die Demokratie, die stört Euch nur. Schaut euch bloß mal TTIP an…….

( Schreie, der Teufel ! Satan ! Belzebub !,  Stühle  werden nach hinten geschleudert, Lärm )

Vorhang.

Alle Redner-Zitate stammen aus dem Artikel von Nikolaus Piper „Ich bin so frei“, SZ 5./6. 12. 2015

Die kleine Leck – Türe ( heute mit Bums ): Rache ist Blutwurst

Die kleine Leck – Türe ( heute mit Bums ): Rache ist Blutwurst

von Wilhelm Pauli

 Wenn es in meine Hände gelegt wäre,
würde ich an meinen Feinden tüchtig Rache nehmen.
( Martin Luther )

 

Rache muss kalt genossen oder gegessen werden. Rache ist süß. Rache stabilisiert das angeknackste Selbstwertgefühl, den Gedemütigten, den ungerecht Behandelten, den Betrogenen oder Verratenen. Aber nur wenn sie einigermaßen gelingt. Nur wenn sie Gerechtigkeit herstellt. Auge um Auge, Zahn um Zahn groboperativ entfernt werden konnten. Sonst ist Rache bitter, und vergällt dem Versager das ganze Leben. Sagen Wissenschaftler.
Aber auf Rache folg Rache.
Die Fernsehprogramme sind ganztägige Racheschulen. Meist handfester Formen oder geschlechterspezifischer Fiesheiten. Übergangen wird, dass bis in die internationale Politik die Entscheidungen, Sanktionen, Bedrohungen genau den primitivsten Racheprogrammen, Rachegelüsten folgen. Man schaue den Kalten Krieg sich an, den Ukraine-Konflikt. Rache bis zur Lächerlichkeit. Sie wird in diesen Höhen nur als Oper inszeniert, während der gemeine Rächende aus unseren Gehaltsklassen und seine Opfer eher im Dreck herumkriechen.

So wie Wolf um 1939 im Istanbuler Sieben Türme Viertel, einem Quartier der unteren Schichten aller Ethnien, Religionen, Gassendespoten und Gangs, das zunehmend durchrüttelt wird durch die wankenden Sympathien für die Weltkriegsparteien, wo die Leidenschaften sich verhaken, aufeinanderschlagen, die Getriebenen sich mit den Messern öffnen und gegenseitig in die Gedärme glotzen. Wolf, von seinem Vater, der raus musste aus Deutschland, bei einer türkischen Familie abgestellt, hat bald mehr Grinde und Narben auf dem kahlgeschorenen Schädel denn seine einheimischen Kumpels und arbeitet sich in der Grundschulgang seiner Straße hoch.

Auch dank Deutscher Tugenden, die man ihm gerne zuschreibt oder abfordert. Hinter den Grundschulgangs stehen die der großen Brüder, und dahinter die Clanchefs, womit ein nicht enden wollendes Hauen und Stechen, Raufen und Rächen gesichert ist. Man blickt da nicht immer durch. So wie es ja auch bei uns ist: Manchmal genügt falsch Gucken. Oder eines der Istanbuler Mädchen hat einmal zu viel einem Hallodri aus der Nachbarschaft ein Auge zugeworfen. Schon blitzt das Messer.

Überhaupt die Mädchen, da hätte man gerne noch etwas mehr über die Techniken erfahren, wie sie durch raffiniertes Reiben am Knabenkörper die Unschuld bewahren, gleichwohl die Kerle am Nasenring um die Dorflinde ziehen. Aber Gott sei Dank gibt es ja Tanten oder einsame ältere Damen, die verfügbare Männchen in die Geheimnisse des weiblichen Körpers einführen. Ein Topos über wahrscheinlich alle Literaturen hinweg. Immer habe ich diese Männchen darum beneidet, nie einen so Begünstigten kennen gelernt. Wolf wird solches Glück reich zuteil. Aber dann fällt wieder irgendein Kopf, und der vom Wolfi muss schnell aus der Gnadenbrust.
Feridun Zaimoglus Werk von 800 Seiten und einem bedenklich großen Personenregister hatte es auf die „Longlist“ zum Deutschen Buchpreis gebracht. Weiter aber nicht. Einigen Kritikern war die verdrückte Geschlechtlichkeit zu penetrant. Andere mögen im Überfluss des Personals den Überblick verloren haben. Mir scheint, dass die 99 Kapitel des Buches von dem kompositorischen Willen des Autors, für jeden Konflikt, jeden Charakter, jeden türkischen Tand einen Ort zu finden, bei aller Farbigkeit zunehmend Lähmung und Langweile erzeugt, ganz ähnlich wie neulich bei der Buchpreisverdächtigen Georgierin Nino Haratischwili, die im Bestreben nichts auszulassen, immer neue Verwandte der Protagonistin mit ihren Lebensgeschichten durch die Seiten trieb – das über sechs Generationen – bis der Leser nach Erbarmen rief.
„Archaisch“, so wurde die Form der Konfliktlösung im Sieben Türme Viertel, das Zusammenleben gerne charakterisiert, aber dann demonstrieren in Istanbul Erdogan-Anhänger mit „Wir wollen ein Massaker“ durch Istanbul und in Kreuzberg marschieren junge Türken ums Eck und wollen keine Aufklärung, keine Gerichtsverfahren sondern „Massaker“.

Jetzt BUMS

An dieser Stelle unterbrach ich meine kleine Leck – Türe und wechselte zum Fußballspiel gegen den Erbfeind. Dann der Bums. Der Reporter bot ein Bild des Jammers. Nicht weil er überfordert war, wer wäre das nicht gewesen?, sondern durch die Weise wie er sich selbst laufend dementierte und gezwungen wurde ins Heuchelfach zu wechseln. Ständig jammerte er, wie unmöglich es sei, jetzt über Fußball zu reden, ja nur daran zu denken und zack zeigte er schon die nächste Zusammenfassung irgendeines anderen Freundschaftsspieles vom Abend. Und barmte, war nicht selbst die Europameisterschaft an diesem Ort unmöglich geworden? und zack das nächste Fußballfest. Wo waren die Chefs? Lagen die alle schon bei der Mutter, oder hatten die Sponsoren sie schon ausgerichtet?
Spannend war es live zu erleben, wie die Sprachregelungen für den gesamten Mediensektor in wenigen Stunden sich durchsetzten: „Alles ist jetzt anders“, das war und ist der eine Song „Nichts ist mehr wie zuvor“. Aber gleich stellte sich heraus, der Söder ist wie immer. Der Gauck quallt wie immer. Der Hollande schnaubt Rache und Krieg aus seiner Witzfigur. Haltlose Versprechungen überall. Selbst die Aufmandler von Anonymous erklären den totalen Krieg. Alles ist wie immer Und der Jogi wird heilfroh sein, dass ihm ein deckender Mantel für das Scheißspiel, das seine Mannschaft abgeliefert hat, gereicht worden ist.

Die Parole, man dürfe diese Terroristen nicht mit der Flüchtlingsfrage in Verbindung bringen, wird in den nächsten Stunden und Tagen so oft ins Bürgerohr gedröhnt, bis das letzte naive Würmchen begriffen hat, dass es geradezu Zeit sei, da mal nachzuhaken. Alle gutgemeinten Symbole braven Bürgersinns werden inflationär geschliffen, wie auch alle Botschaften spätestens am Montag Morgen durch die Toilette gespült werden, denn noch gibt es Leute, die zur Arbeit müssen und denen auch ganz ohne Geschwätz in U-Bahnen und S-Bahnen ( ich habe es in Berlin überprüft ) klar wird, dass alles wie immer ist. Die Börse brummte erst gefestigt, um dann einen frühlingshaften Aufschwung zu nehmen.


Das wäre ja schön, wäre alles anders, alles neu. Man könnte jede Menge Ballast abwerfen, aufschnaufen und von vorne beginnen. Aber Feigerl.

Es ist wie immer und wenn man das nicht mehr will, dann bedürfte es schier evolutionärer Entwicklungen in Wurstl und Wirtschaft und die dauern bekanntlich ziemlich lang.

Jetzt beginnen die Weihnachtsmärkte. Hotspots der Perversionen. Die Eagles Of Death Metal ein Schnupfen dagegen.

Weiter im Text:

Es empfiehlt sich in einen anderen Winkel unserer Herzen zu sehen. Den „ich- bring-die-alle-um-Winkel“. Den „ich-mach-den-kalt-Winkel“. Der, der sich bei „klammheimlicher Freude“ vor Behagen weitet.

Bei Galiani ist das Buch des Boris Sawinkows „Das fahle Pferd“ herausgekommen. Eine Wiederentdeckung. Boris Sawinkow, ein Spitzenterrorist, der unter dem Pseudonym W. Ropschin Bücher schrieb, bombte erst gegen die Zaristen, kann einem Todesurteil durch Flucht entkommen, schrieb das fahle Pferd im Pariser Exil ( 1907 ), kam irgendwie in diplomatische Dienste, setzte seine Terroristenlaufbahn im Kampf gegen die Bolschewiki fort, ging wieder ins Exil und fiel 1925 aus dem 5. Stock der Lubjanka. Die Beigaben im Buch zeigen, wie interessant ein sinnloses Leben sein kann.

Der Clou aber ist schon Sawinkows Text selbst. Ein knochentrockener, girlandenloser Bericht in gestochen scharfer Sprache über eine Phase auf der Spur des Generalgouverneurs, er selbst als Organisator der Aktion, der weder über politische Hintergründe und Implikationen des Treibens etwas vorreflektiert, noch von Gewissensnöte. Er will den Töten. Mögliche Selbstlegitimationen lagert er in kurzen Dialogen in die Verfasstheit seiner Leute aus. In den Einen, der sich aus christlichem Rumoren in den Eingeweiden die Rechtfertigung zurechtmacht: Er handelte aus tiefer Liebe.
Sawinkow braucht keine Begründung. Er will, dass es bald erfolgreich rummst. Entlastung, könnte man wähnen, findet er in fabelhaften Naturausflügen. Kann aber auch nur ein taktisches Zugeständnis an die traditionelle russische Seele sein. Und eine Frau, die ihn fasziniert, gibt es auch. Aus einer Zeit, da faszinierende Frauen noch von eleganten anarchischen Terroristen fasziniert waren.
Kurz denkt man an den Baader, um den auch allerlei herumsummte. Natürlich der eher ein Lederjacken-Prol. Folglich die Bienen auch eine anderer Klasse. Wir nannten die Baaders „wildgewordene Kleinbürger“. Der Genosse Lenin den Sawinkow „Bourgeois mit der Bombe in der Tasche“. Das macht schon Unterschiede.

Der Spitzenterrorist letztlich ohne Regung.
Ein Soziopath?
Woraus erwachsen Soziopathen. Kann Empathie parteiisch sein? Stört sie nur im Kampf? Was geschieht, wenn Soziopathen siegen?

 

 

Feridun Zaimoglu: Sieben Türme Viertel. Roman. Kiepenheuer & Witsch, 2015. ( 800 S., 24,99 € )

Boris Sawinkow: Das fahle Pferd. Roman eines Terroristen. Mit dokumetarischem Anhang und einem Nachwort von Jörg Baberowski. Galiani Verlag, 2015. ( 304 S., 22,90 € )